Jahrhundertaufgabe: Über die Lage in Armenien - Interview mit Marcel Röthig

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Am 19. September startete Aserbaidschan eine Großoffensive in Bergkarabach. Etwa 100.000 Armenier*innen sind seitdem aus der Region geflohen. Wie ist die Situation heute?

Für Armenien gleicht die Integration der Geflohenen einer Jahrhundertaufgabe. Über das ganze Land verteilt suchen die Menschen nach Arbeit, Wohnraum, Kindergärten und Schulplätzen. Unklar ist, ob gerade ältere Menschen Anspruch auf armenische Pensionen oder andere Sozialleistungen haben. Viele ziehen weiter nach Russland oder ins westliche Ausland. Ungleich schwieriger haben es die wenigen in Bergkarabach verbliebenen Armenier*innen: Nach Schätzungen sind es nur weniger als 100 Menschen. Das Gebiet ist vollkommen unter aserbaidschanischer Kontrolle, Orts- und Straßennahmen sind inzwischen aserbaidschanisch und die Menschen müssen nun aserbaidschanische Dokumente beantragen. Mit großer Sorge schaut man in Armenien auf die weitere Entwicklung. Viele befürchten eine noch schlimmere militärische Eskalation, dieses Mal auf armenischem Boden, sollte Aserbaidschan nun möglicherweise aus einem Gefühl der Stärke heraus eine geforderte extraterritoriale Verbindung in seine Exklave Nachitschewan militärisch einverleiben. 

Wie ordnest du die Rollen Russlands und der Türkei in diesem Konflikt ein?

Russland hat trotz zweier militärischer Beistandsabkommen Armenien wiederholt im Stich gelassen. Das liegt zum einen daran, dass Russlands eigene militärische Kapazitäten erschöpft sind, wir also durchaus die Entwicklung im Südkaukasus als Folge von Russlands Schwächung bewerten können, zum anderen aber auch an einer politischen Prioritätenverschiebung: 2018 gab es in Armenien eine demokratische Revolution, die den früheren kritischen Journalisten Nikol Paschinjan ins Amt brachte. Mit dessen Führung, die größtenteils aus der Zivilgesellschaft kommt, fremdelt man in Moskau natürlich wie auch mit dessen zaghaftem Kurs nach Europa, während das autoritäre politische System Aserbaidschans dem des Russischen mehr ähnelt und auch wirtschaftlich Aserbaidschan mit seinen großen Erdgasvorkommen und seiner geografischen Lage am Kaspischen Meer zwischen Russland und dem Iran an Attraktivität gewonnen hat. Zum anderen hat Russland nur zwei Tage vor der Invasion in die Ukraine ein Militärabkommen mit Aserbaidschan abgeschlossen. Die Türkei hingegen ist traditionell eng mit Baku verbunden, sowohl kulturell als auch sprachlich, aber vor allem wirtschaftlich: So ist die Türkei für Aserbaidschan der Hub, wenn es um den Handel mit Öl und Gas geht. Ankara selbst wünscht sich freie Handelswege bis ans Kaspische Meer, um der eigenen Wirtschaft neue Perspektiven zu eröffnen, aber auch, weil es durchaus Bestrebungen gibt, das von Russland im Kaukasus hinterlassene Machtvakuum zu füllen. 

Siehst du eine Perspektive auf Frieden? 

Der jahrzehntelange Konflikt war letztlich seit ihrer Unabhängigkeit für Armenien und Aserbaidschan zwar ein identitätsstiftendes Element, hat aber gleichzeitig beide Länder stets in ihrer Entwicklung gehemmt. Mit der gewaltsamen Beendigung der armenischen Existenz in Bergkarabach fürchte ich, dass die Chance auf einen gerechten Frieden vertan wurde. Letztlich wiederholt Aserbaidschan den Fehler, den Armenien wiederum in den 1990er Jahren gemacht hat: Dass das Ausruhen auf einem militärischen Erfolg eben nicht zum Frieden führt. Wichtig für die EU ist es, darauf einzuwirken, dass es nicht zu einer noch schlimmeren Eskalation kommt. Dies kann sie durch Angebote, etwa der Visaliberalisierung als auch engere Kooperation gegenüber Armenien, als auch durch wirtschaftliche Angebote an Aserbaidschan, aber auch einer klaren Sprache, was die Folgen einer Invasion wären. Mit der EU-Beobachtungsmission EUMA auf der armenischen Seite der Grenze leistet die EU seit diesem Jahr zudem bereits mehr als jemals zuvor. Wünschenswert und zugleich vertrauensbildend wäre, wenn diese unbewaffnete Mission auch in Aserbaidschan arbeiten könnte. Beide Seiten haben Interesse am Frieden, doch auch mit einem formellen Abkommen ist noch viel dafür zu tun, dass der Frieden auch in den Köpfen ankommt. 

Marcel Röthig ist Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung Südkaukasus;  Interviewer: Elias Noeske

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Gastbeitrag: Wer stoppt die Rechtsextremen?

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Lichtblicke aus Spanien und Polen

Die vergiftete Atmosphäre in der EU, in der Rechtsextreme gedeihen, scheint anzudauern: Zuletzt gewann der Rechtspopulist Wilders die niederländischen Parlamentswahlen. Die vielen zusammenhängenden Krisen wie Kriege und der Klimawandel sowie ihre direkten Auswirkungen auf den Alltag in Form von Inflation und hohen Energiepreisen lassen die Sorgen vor der Zukunft und soziale Abstiegsängste wachsen. 

Rechtsextreme schlagen daraus Kapital. Sie schüren Ängste, um der Gesellschaft einen permanenten emotionalen Ausnahmezustand aufzuerlegen – so formuliert es Natascha Strobl, österreichische Politikwissenschaftlerin und Sozialdemokratin. Rechte Strategien bieten einfache Antworten auf komplexe Probleme. Dass das eine Rechnung ist, die nicht aufgeht, ist klar. Doch was kann die Sozialdemokratie dagegen tun?

Zuerst einmal: Der Rechtsruck in der EU ist nicht in Stein gemeißelt. Die Wahlergebnisse aus Spanien und Polen sind ein kleiner Lichtblick. Während etwa in Finnland und Schweden Konservative und (Wirtschafts-)Liberale mit Rechtsextremen ohne Skrupel auf Regierungsebene zusammenarbeiten, konnte die national-konservative PiS sich im Oktober 2023 in Polen keine absolute Mehrheit mehr sichern und in Spanien konnten nach den Wahlen im August 2023 die Sozialist*innen eine Mehrheit im Parlament organisieren. 

Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) hat Rechtspopulismus in der EU untersucht und Handlungsempfehlungen abgegeben, wie sich diese Ergebnisse in eine Gegenbewegung übertragen lassen. Sie betont: eine Mitte-Links-Strategie muss Werte wie Gleichheit und Nichtdiskriminierung in ihrem Mittelpunkt behalten. 

Oder anders gesagt: Wir können rechtsextreme Entwicklungen nicht bekämpfen, indem wir uns ihnen inhaltlich annähern – wie dies etwa in Deutschlands Migrationspolitik geschieht. Stattdessen dürfen wir bei dem Schutz von Menschen bzw. Minderheiten, egal, ob es um ihre fundamentalen Rechte oder beispielsweise ihre materielle Stellung geht, keine Kompromisse eingehen. Dass diese Strategie aufgehen kann, haben die jüngsten Wahlergebnisse gezeigt.

Dazu ist die Analyse der FES empfehlenswert. Sie arbeitet heraus, wie dieser allgemeine Grundsatz spezifisch in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden kann:

Halikiopoulou, D., & Vlandas, T. (2022). Understanding right-wing populism and what to do about it. 

Text: Lisa Storck

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Für Menschlichkeit im großen Stil! Rückblick zur Filmvorführung „Styx“

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Wie jedes Jahr im Herbst lud Dietmar zu einer Filmvorführung mit anschließender Diskussion in Dortmund ein. Gezeigt wurde „STYX“, ein Film, der am Beispiel der Notärztin Rike, die während eines privaten Segeltörns auf ein Flüchtlingsboot trifft, sehr eindringlich die unsäglichen Umstände der Seenotrettung von Menschen auf der Flucht beschreibt.

Für den Filmregisseur Wolfgang Fischer waren der Gewöhnungseffekt in der Öffentlichkeit sowie fehlende menschenrechtskonforme politische Maßnahmen die Motivation, diesen Film zu drehen. Der Film soll aufrütteln. Doro Krämer von Sea-Watch berichtete in der anschließenden Diskussion, dass bei SOS-Rufen die entsprechenden Küstenwachen häufig gar nicht oder erst nach vielen Stunden reagieren. Sie weisen oftmals zivile Rettungsschiffe im Mittelmeer an, sich Flüchtlingsbooten nicht zu nähern.

Anja Sportelli von der Seebrücke Dortmund und Paul-Gerhard Stamm vom Netzwerk der Dortmunder Flüchtlingshelfer*innen-Initiativen betonten die hohe emotionale Belastung von Flüchtlingshelfer*innen und beklagten die „Gesichtslosigkeit und die Namenlosigkeit“ des Leids. Auch Cüneyt Karadas, Mitglied der SPD-Ratsfraktion Dortmund, war bei der Diskussion zu Gast und gab Einblicke in die flüchtlingspolitischen Maßnahmen der Stadt Dortmund. 

Dietmar verlangte, sich den inzwischen zum Mainstream gewordenen Forderungen nach mehr Abschiebungen entgegenzustellen. Eine solche Rhetorik trage nicht dazu bei, die Herausforderungen der Kommunen zu lösen und sei schon gar nicht geeignet, den Rechten und Nazis das Wasser abzugraben. Oder wie es die Jusos zutreffend formulieren: Sozialdemokratie bedeutet Politik mit humanitären Werten. Genau diese braucht es jetzt im großen Stil!

Text: Ulla Große-Ruyken und Lisa Storck

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10 Punkte zum Krieg im Nahen Osten

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Stand: 23. November 2023

1 Wir können darauf hoffen, dass Geiseln freigelassen und eine Feuerpause für einige Tage erreicht werden kann. Als nächstes müssen die restlichen Geiseln freigelassen werden.

Die Terroristen der Hamas haben diesen Krieg begonnen, indem sie vorsätzlich und gezielt Gräueltaten begangen haben. Sie töteten Kinder, Frauen und ältere Menschen, die sterben mussten, weil sie Jüd*innen waren. Wenn man all diese grausamen Verbrechen sieht ist klar, mit welchem Ausmaß hier Hass geschürt worden ist und immer noch wird.

3 Es besteht kein Zweifel daran, dass das humanitäre Völkerrecht die Unterbrechung der Wasser-, Nahrungsmittel- und Stromversorgung verbietet. Die Aussagen der rechtsextremen Kräfte in der israelischen Regierung sind inakzeptabel. Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, aber die militärischen Maßnahmen  müssen verhältnismäßig sein.

Die internationale Gemeinschaft muss dafür sorgen, dass sich Terroranschläge wie dieser nicht wiederholen und die Sicherheit Israels gewahrt bleibt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Israel nicht nur von der Hamas angegriffen wird. Es gibt noch mehr Bedrohungen: Hisbollah, der Iran, Houthis im Jemen etc.

5 Die Verantwortlichen für diesen Terroranschlag müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Hamas-Vertreter betonen, dass sie ihre terroristischen Aktionen wiederholen würden. Wenn wir einen langfristigen Waffenstillstand fordern, stellt sich die Frage: Wer garantiert die Sicherheit Israels? 

6 Israel darf nicht dämonisiert werden, das delegitimiert den Staat. Israels Existenzrecht kann niemals in Frage gestellt werden.

7 Die Zukunft von Gaza ist nur ohne Hamas denkbar. Zudem muss Gaza entmilitarisiert werden, damit sich das Massaker vom 7. Oktober nie wiederholen kann.

8 Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die UN und die EU, hat zu wenig getan, um eine friedliche Zweistaatenlösung zu schaffen. Es gab zahlreiche UN-Verurteilungen der israelischen Siedlungspolitik, aber nur wenige Initiativen verurteilten und konzentrierten sich auf die Aktivitäten der Hamas im Vorfeld dieses Terroranschlags. Die vorherrschende Meinung in der internationalen Politik war, dass man mit dem Konflikt irgendwie umgehen müsse und es keine Lösung gebe. Das war ein grundlegender Fehler.

9 Die Palästinenser*innen müssen ihre eigene demokratische Regierung unter internationaler Kontrolle selbst bestimmen/aufbauen, damit eine Zweistaatenlösung mit Frieden und Wohlstand für alle erreicht werden kann.

10 Jüdisches Leben muss in der EU geschützt werden. Antisemitismus muss bekämpft werden.

 

Text: Prof. Dr. Dietmar Köster


Kommentar zur EU-Osterweiterung

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Zur EU-Osterweiterung, insbesondere im Bezug auf Ukraine Moldawien und Georgien, durfte ich beim Förderverein Zeche Altstaden einen Impulsvortrag halten.

Die Europäische Kommission hat ihre Erweiterungspolitik zuletzt forciert, obwohl die genannten Länder bekanntermaßen Schwierigkeiten haben, die Aufnahmekriterien zu erfüllen. Das lässt sich vor allem durch geostrategische Motive der Kommission erklären. Dieser geopolitische Druck steht zuweilen in einem Spannungsverhältnis zu den Kopenhagener Kriterien, die die Beitrittsstaaten erfüllen müssen. Sie umfassen die institutionelle Stabilität, die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung sowie die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Schon jetzt haben wir innerhalb der EU mit Ungarn und Polen Staaten, die es mit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten nicht so ernst nehmen.

Deshalb sind Reformen notwendig, um die EU handlungsfähiger zu machen, bevor sie weitere Mitglieder aufnimmt. Das gilt besonders für die Fiskalpolitik der EU, außerdem muss das Europäische Parlament ein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge bekommen und das Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik überwunden werden.

Die Ukraine und Moldawien haben bereits den EU-Kandidatenstatus erhalten. Georgien wurde er in Aussicht gestellt. Welche Perspektiven gibt es in den einzelnen Verfahren?

🇺🇦Die Ukraine hat zuletzt unter Beweis gestellt, dass sie auch in Kriegszeiten in der Lage ist, Fortschritte auf ihrem Weg in die EU zu erzielen. Den größten Nachholbedarf gibt es bei der Bekämpfung von Korruption. Zuletzt verzeichnete die Ukraine mit Korruptionsermittlungen und -Verurteilungen auf hoher Ebene sowie einem gestärkten institutionellen Rahmen eine wachsende Erfolgsbilanz in diesem Bereich. Der Beitritt wäre zudem mit gravierenden Veränderungen in der EU verbunden, besonders im fiskalen Bereich. So müssten alle heutigen Mitgliedstaaten, bleibt der aktuelle Finanzrahmen erhalten, ihre Zahlungen in den EU-Haushalt deutlich erhöhen. Zugleich würden die Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik für die jetzigen EU-Staaten um ein Fünftel gesenkt, während ein Achtel des gesamten EU-Budgets – rund 186 Milliarden Euro – an Kiew gingen. Ferner ist ein Beitritt der Ukraine, solange der russische Angriffskrieg andauert, ausgeschlossen.

🇲🇩Auch Moldavien hat wichtige Fortschritte erzielt. Es hat z.B. eine umfassende Justizreform begonnen und die Ermittlungen und Verurteilungen in Korruptionsfällen haben zugenommen. Außerdem wurde die Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungsprozessen verbessert und der Schutz der Menschenrechte gestärkt. Ein Aktionsplan zur De-Oligarchisierung mit festen Fristen wurde eingeführt und eine Strategie für die öffentliche Verwaltung mit Reformen auf allen Ebenen entwickelt.

🇬🇪Georgien hat insbesondere Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und zur Berücksichtigung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erlassen. Eine ganzheitliche Reform des Hohen Justizrates ist aber erforderlich und steht noch aus.

Ökonomisch, politisch und sozial gesehen bringt eine EU-Erweiterung verschiedene Perspektiven mit, die beachtet werden müssen.

Ökonomisch zeigt das Beispiel Ukraine, dass es massive fiskale Veränderungen gäbe. Bisherige Nettoempfänger*innen von EU-Subventionen im Agrarbereich wie Polen, Rumänien, Ungarn oder Griechenland ,würden durch einen Beitritt der Ukraine stark an Subventionen einbüßen oder die Beitragszahlungen der EU insgesamt müssten stark erhöht werden. Das ist eine Quelle für Unmut.

Politisch gesehen kann die EU durch eine höhere Mitgliederzahl an weltpolitischem Gewicht dazugewinnen und sich von anderen globalen Playern unabhängiger machen. Zudem ist die EU immer schon eine Friedensunion gewesen. Noch nie gab es Krieg zwischen EU-Mitgliedstaaten. Zur Stärkung des Friedens sollte die EU-Erweiterungspolitik weiter vorangetrieben werden. Wichtig ist, dass es Reformen gibt, die die Handlungsfähigkeit der EU auch bei einer Erweiterung erhalten und weiter verstärken.

In der Zivilgesellschaft in allen drei Staaten gibt es eine breite Unterstützung für die Europäische Union. Im Sinne einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik ist es zentral, sie zu stützen und ihr eine ernsthafte Perspektive in der EU zu eröffnen. Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien trägt maßgeblich dazu bei.

Ausführliche Informationen zu den Fortschritten aller (potentiellen) Beitrittsstaaten gibt es hier: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-beitritt-kommission-fur-verhandlungen-mit-ukraine-und-moldau-2023-11-08_de

 

 


Tunesische Regierung verweigert EU-Abgeordneten die Einreise

Am 13. September erreichte unser Brüsseler Büro die Nachricht, dass die tunesische Regierung der gesamten Delegation des Europäischen Parlaments, der Dietmar angehört, die Einreise verweigert. Als Grund wurden kritische Äußerungen zweier EU-Parlamentarier gegen die tunesische Regierung genannt. 

Seit vier Jahren sorgt der tunesische Machthaber Kais Saied für negative Schlagzeilen. Seine Migrationspolitik ist durch und durch von Rassismus gegenüber Menschen aus der Sub-Sahara geprägt. Besonders schrecklich waren die Massenabschiebungen tausender Menschen in die militarisierten Wüstengrenzen zu Algerien und Libyen vor einigen Monaten. Alleine 27 Leichen wurden im August 2023 an der tunesisch-libyschen Grenze geborgen. Viele Menschen werden vermisst und sind vermutlich bei Temperaturen von mehr als 40 Grad verdurstet oder aus anderen Gründen gestorben. 

Wo soll diese Migrationspolitik hinführen?

Die Geschehnisse in Tunesien sorgen für Empörung in Europa. Das selbsternannte „Team Europe“, bestehend aus der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte und der italienischen Ministerpräsidentin Georgia Meloni, verkündeten im Juni einen „Etappensieg“: ein Migrationspakt mit Tunesien. Tunesien erhält nun Millionenzahlungen aus europäischen Steuergeldern und soll im Gegenzug Migrant*innen an der eigenen Seegrenze aufhalten. In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union verkündete von der Leyen, diesen Deal als Blaupause für weitere Migrationsabkommen mit Drittstaaten zu verwenden. Das „Team Europe“ war allerdings nicht demokratisch legitimiert. 

Das Muster ist offensichtlich: Die Flüchtlinge und Migrant*innen sollen um jeden Preis von Europa ferngehalten werden. Dafür wird systematisch drangsaliert, gequält und getötet. Tunesien ist kein sicherer Hafen! Zumal die tunesische Küstenwache immer wieder Verbrechen begeht. Beispielsweise stiehlt sie die Motoren von Flüchtlingsbooten und überlässt die Menschen auf offenem Meer ihrem Schicksal. Und mit zwielichtigen Hinterzimmerdeals wird man einer menschenwürdigen Migrationspolitik ganz und gar nicht gerecht.

Text:  Elias Noeske. Er  studiert Internationale Beziehungen in Regensburg und lebte bis vor Kurzem in Tel Aviv. Er hat sich im Studium auf Auswärtige Politik spezialisiert und arbeitet aktuell als Praktikant im Brüsseler Büro 


„Unser Haus“ - Menschenrechtsorganisation in Belarus

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Schon seit einiger Zeit steht Dietmar im Austausch mit Olga Karatch und der belarusischen Organisation „Unser Haus“, um vor allem die Rechtslage und Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern zu stärken. Es gibt aber leider Grund zur Besorgnis. Im August wurde Olga Karatch Asyl in Litauen verweigert, weil sie angeblich eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstelle. Die Vorwürfe gegen die mit Preisen ausgezeichnete Menschenrechtsaktivistin sind unhaltbar.

Das Menschenrechtsnetzwerk Nash Dom, zu Deutsch „Unser Haus“, Englisch „Our House“, setzt sich für die Interessen der belarusischen Bürger*innen ein. Es wurde 2005 gegründet und hatte zeitweilig Gruppen in 15 Orten in Belarus.  Das Netzwerk organisiert öffentliche Kampagnen, unterstützt Aktivist*innen, wenn diese Opfer von staatlicher Repression und Gewalt werden und deckt immer wieder Missstände in der belarusischen Politik auf. Es organisiert öffentliche Kampagnen, um Politiker*innen zur Rechenschaftslegung aufzufordern und unterstützt Aktivist*innen, wenn diese Opfer von staatlicher Repression und Gewalt werden. Auch und gerade Frauen, die politisch aktiv sind und gegen die Regierung von Alexander Lukaschenko aufbegehren, müssen mit massiven Repressionen rechnen. 

Seit den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020 und der Protestwelle, die auf sie folgte, sind viele der Aktivist*innen im Exil in Litauen. Von dort aus setzen sie ihre Arbeit fort, sei es gegen langjährige Haftstrafen für Minderjährige oder sei es bei der Dokumentation von Übergriffen durch die „Sicherheitskräfte“.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich das Engagement von Nash Dom erneut erweitert. Wesentlich ist im Moment eine Kampagne, die belarusische Männer aufruft, sich der Rekrutierung zum Militär zu entziehen. Hintergrund ist die Befürchtung, dass Belarus auf der Seite Russlands in den Krieg in die Ukraine eintreten will oder Rekruten unter dem Deckmantel von Militärübungen auf der Seite Russlands eingesetzt werden. Außerdem untersucht und berichtet Nash Dom über Repressionen gegen die Opposition, die weiter zugenommen hat und führt ein Monitoring über das belarusische Militär durch. So berichteten sie u.a. über die hohe Zahl von Selbstmorden in der Armee.

Die Gründerin von Nash Dom, Olga Karatch, ist auch im Exil in Litauen vielfachen Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt. Umso unverständlicher, dass Litauen ihr das politische Asyl bislang verweigert.

Text: „Unser Haus“


GEAS: Kurz vor der Einigung, sich weiter abzuschotten

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Bis Ende des Jahres soll der neue Pakt zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) ausverhandelt sein. „Eine historische Chance für eine Einigung auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem“ nennen es spanische Ratspräsidentschaft und EU-Kommission. Ein Scheitern soll verhindert werden, denn nächstes Jahr wird das EU-Parlament neu gewählt.

Es sind daher Einigungen um jeden Preis zu befürchten. Es wird über eine Vielzahl von besorgniserregenden Regelungen diskutiert, die für den Krisenfall noch verschärft werden sollen. Nur das EU-Parlament kann jetzt noch zur Schadensbegrenzung beitragen. Ihm kommt eine zentrale Bedeutung zu.

Denn die geplante Ausweitung der Grenzverfahren lässt erwarten, dass sich die humanitären Missstände an den EU-Außengrenzen noch verschlimmern und es zu weiteren Inhaftierungen an den EU-Außengrenzen kommt. Dass Minderjährige von den Grenzverfahren ausgenommen werden sollen, ist zwar zu begrüßen. Das muss aber auch für Kinder bis zum 18. Lebensjahr gelten und für Familien.

Die größte Gefahr für den individuellen Flüchtlingsschutz in der EU liegt in dem Vorschlag, die Anwendung des Konzepts von „sicheren Drittstaaten“ auszuweiten und die Anforderungen hinsichtlich des anzuwendenden Schutzes abzusenken. Das kann dazu führen, dass Menschen von der inhaltlichen Asylprüfung in der EU gänzlich ausgeschlossen werden.

Das Ziel, mit dem EU-Pakt die Zahl der Schutzsuchenden zu verringern, wird wohl nicht funktionieren. Sowohl 2022 als auch 2023 kamen die meisten Asylsuchenden in der EU aus Syrien und Afghanistan – Länder, die von Konflikten und Verfolgung geprägt sind und in die auf absehbare Zeit niemand zurückkehren kann.

Erstaufnahmeländer sollen weiterhin die Verantwortung tragen, denn die Übernahme von Flüchtenden durch andere Mitgliedstaaten ist freiwillig und kann das nach den jüngsten Plänen auch bleiben. Was fehlt, ist vor allem der politische Wille zur Schaffung eines solidarischen und verpflichtenden Systems zur Verantwortungsteilung. 

Text: Hannah Adzakpa, Kontaktstelle Politik Europa, Deutscher Caritasverband; Martin Beißwenger, Referat Migration und Integration, Deutscher Caritasverband


Menschenrechte bei Lieferketten einhalten

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Am 1. Juni beschloss das Europäische Parlament (EP)  das wichtige Lieferkettengesetz. Es soll dafür sorgen, dass große Unternehmen, die in der EU ansässig oder tätig sind, Menschenrechts- und Umweltverstöße in ihrer Wertschöpfungskette erkennen und verhindern. Firmen, die in der EU wirtschaftlich aktiv sind, müssen entlang der gesamten weltweiten Wertschöpfungskette dafür sorgen, dass Menschenrechte und Regeln zum Klimaschutz gelten. 

Betroffen sind nach dem Parlamentsbeschluss Unternehmen mit 500 und später mit 250 Beschäftigten. Auch Unternehmen außerhalb der EU mit mehr als 150 Millionen Euro Umsatz, von denen 40 Millionen Euro in der EU erwirtschaftet werden, unterliegen der Richtlinie. Eine weitere Neuerung gegenüber dem deutschen Lieferkettengesetz ist, dass die EU-Richtlinie neben Zulieferern die gesamte Kette betrifft, also auch Verkauf, Vertrieb und Logistik.

Nur jedes dritte Unternehmen prüft, ob bei den eigenen Lieferketten Menschenrechte und der Umweltschutz eingehalten werden. Immer noch schaffen es viele Produkte in europäische Supermärkte, die durch Sklavenarbeit produziert worden sind oder die mit Landvertreibungen oder Umweltverschmutzung einhergehen. Das EP will dafür sorgen, dass europäische Unternehmen, wie nach der Rana Plaza-Katastrophe vor zehn Jahren, bei der mehr als 1000 Menschen in einer Textilfabrik in Bangladesch starben, zur Verantwortung gezogen werden. Darüber hinaus soll beispielsweise keine Schokolade mehr in die Supermärkte kommen, die durch Kinderarbeit erzeugt oder Weihnachtsbaumschmuck über die Ladentheke gehen, der durch Zwangsarbeit hergestellt wurde. Die Berichte über Niedriglöhne, mangelnden Arbeitsschutz, 152 Millionen Kinder, die weltweit Kinderarbeit leisten, 25 Millionen Menschen, die in neuartige Formen von Sklavenarbeit gezwungen werden, zeigen auf wie wichtig es ist, hier endlich gesetzliche Regelungen zu schaffen. Wenn Rechte verletzt werden, müssen Arbeitnehmer*innen überall in der Welt vor Gerichten klagen können, um ihre Interessen durchzusetzen. Das Lieferkettengesetz kann so ein zentraler Baustein für eine menschenrechtsfundierte Art des Wirtschaftens in der EU werden.

Rechtsextreme und nationalkonservative Parteien sowie die CDU/CSU wollten wichtige Aspekte des EU-Lieferkettengesetzes besonders beim Klimaschutz und der Einbeziehung des Finanzsektors verwässern. Der Finanzsektor spielt eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung von Sorgfaltspflichten. Er finanziert viele Unternehmen in ihren globalen Wirtschaftstätigkeiten durch Kredite. Ihn nicht einzubinden, wäre grundfalsch. 

Nach dem Parlamentsbeschluss wird das Gesetz nun zwischen EP, Kommission und Rat (Trilog) verhandelt. Die Gespräche kommen nur schleppend voran. Das EP verfolgt dabei einen klareren Ansatz zum Schutz von Menschenrechten und Klima, aber die EU-Staaten sind gespalten. Das EP muss deshalb Druck auf den Rat ausüben, damit dieser nicht damit durchkommt, das Lieferkettengesetz zu verwässern. Die europäische Sozialdemokratie wird für ein nachhaltiges Lieferkettengesetz kämpfen.

Text: Prof. Dr. Dietmar Köster


Einladung zur Filmvorführung in Dortmund

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Der SPD-Europaabgeordnete Prof. Dr. Dietmar Köster lädt zur Filmvorführung ein:

 

Styx 

am 27. Oktober 2023 um 18 Uhr

im Lichtspiel- und Kunsttheater Schauburg Dortmund,

Brückstraße 66, 44135 Dortmund

 

 Im Anschluss an die Filmvorführung diskutieren 

  • Wolfgang Fischer (Regie und Drehbuch des Films), 
  • Dorothee Krämer (Sea-Watch e.V.) 
  • Anja Sportelli (Seebrücke Dortmund), 
  • Paul Gerhard Stamm (Netzwerk der Dortmunder Flüchtlingshelfer*innen-Initiativen) 
  • Cüneyt Karadas (Mitglied der SPD-Ratsfraktion Dortmund) und 
  • Dietmar Köster (Mitglied des Europäischen Parlaments). 

 

 

Zum Film

Das Drama zeichnet das Erleben und Empfinden einer Kölner Ärztin, die während eines Segeltörns in den Südatlantik auf ein Fischerboot in Seenot trifft, auf dem sich Geflüchtete in akuter Lebensgefahr befinden.

Ihre menschliche und berufliche Pflicht zu helfen wird jäh gestört mit der Antwort auf ihren Hilferuf: Die Fragen nach dem Helfen können und Helfen dürfen hat sie sich vorher nicht gestellt. Man kann zusehen, wie die menschliche, moralische, gesetzliche und politische Ambivalenz die Protagonistin schrittweise zermürbt, erschüttert und traumatisiert. In einer Mischung aus ziellosen Einzelhandlungen bis hin zur Handlungsunfähigkeit sieht sie dem nahenden Tod und dem Sterben der Menschen zu, wie wir, durch ihre Augen.

Der Film offenbart die politische und moralische Zerrissenheit innerhalb der EU hinsichtlich der Seenotrettung Geflüchteter, eine Situation die endlich gemeinsame Regelungen und Richtlinien braucht, die den Menschenrechten und den gemeinsamen europäischen Werten gerecht werden.

 

Anmeldung

Plätze für die Filmvorführung können unter www.dietmar-koester.eu/platzreservierung, per Mail an info@dietmar-koester.euoder tel. über das Europabüro Wetter unter 02335 5222 reserviert werden. Aufgrund des begrenzten Platzangebotes in der Schauburg empfehlen wir eine frühzeitige Anmeldung. Pro Person ist die Reservierung von maximal 4 Plätzen möglich. Eine schriftliche Reservierungsbestätigung erfolgt nicht.

 

Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltenden es sich vorbehalten, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.

 

Zur Anmeldung